Neuanfang: Das große ABER
Serie „Neuanfang“

Neuanfang: Das große ABER

Teil 2 der Serie „Neuanfang“ – Chancen, „falsche“ Hoffnungen und Schwierigkeiten. Was sagt die Wissenschaft zu Neuanfängen?

So, als erstes nehmen wir jetzt mal die rosarote Brille für Neuanfänge ab!

Keine Sorge – später dürfen wir uns natürlich wieder unseren Enthusiasmus und unsere Motivation schnappen und mit Volldampf voraus starten.

Heute werden wir in die Welt der Wissenschaft und Studien zu Anfängen und Veränderungsprozessen eintauchen.

Du kennst das doch bestimmt auch: Wir haben ein neues Ziel, unsere Motivation ist hoch und wir rennen mit hochgekrempelten Ärmeln direkt los. Wunderbar!

Doch je länger der Weg zum Ziel wird, desto mühsamer wird es. Plötzlich ist uns das Ziel nicht mehr so wichtig oder es dauert länger als gedacht. Alles fühlt sich an wie ein klebender, zäher Kaugummi.

Aber warum ist das so? Was sagt die Wissenschaft dazu?

Spannend dazu finde ich die Studien der beiden Psychologen Prof. Janet Polivy und Prof. Peter Herman von der Universität Toronto (Kanada). Sowohl in ihrer gemeinsamen Publikation „If at first, you don’t succeed: False hopes of self-change“ als auch in dem Artikel “The false hope syndrome: unrealistic expectations of self-change” von Prof. Janet Polivy beschreiben sie das sogenannte „False Hope Syndrom“.

Einfach erklärt: Wir setzen uns falsche Ziele.

Gut, das ist jetzt wahrscheinlich zu knapp zusammengefasst. 😉

Die Psychologen haben mehrere Versuchs- und Beobachtungreihen durchgeführt, in denen die Probanden eine Verhaltensveränderung anstrebten. Von Neujahrsvorsätzen, Gewichtsreduktion und Raucherentwöhnung über eine vermeintlich simple Verbesserung einer Fähigkeit war alles dabei.

Das Erstaunliche: Die meisten Probanden scheiterten an ihren Vorhaben.

Das weckte bei den beiden Psychologen natürlich sofort das Interesse und sie erforschten, welche Ursachen es für das Scheitern gab.

Der „unabwendbare“ Kreislauf der Veränderung – oder nicht?

Sie stellten fest, dass jeder zu Beginn mit großem Enthusiasmus und hohen Hoffnungen und Erwartungen in ihr neues Vorhaben startete.

Warum auch nicht? Jeder kennt jemanden in seinem Umfeld, der mal ein paar Kilos abgenommen hat oder den Konsum von Koffein oder Süßigkeiten heruntergeschraubt hat.

Die Anfangsphase läuft bei den meisten sehr positiv. Erste Erfolge stellen sich ein, wir haben das Gefühl von Kontrolle über unser Leben, wir agieren anstatt zu reagieren. Unser Gehirn belohnt uns mit einem Cocktail aus jeder Menge Glückshormonen. Wir fühlen uns gut.

Nach einiger Zeit treten, wie bei jedem Veränderungsprozess, Hindernisse, Schwierigkeiten oder gar Langeweile auf. Die Anfangsenergie sinkt wieder auf ein normales Level zurück. Das nehmen wir oft als enttäuschend wahr. Unser System hat sich reguliert, um auch andere Aufgaben des Lebens bewältigen zu können.

Denn sind wir mal ehrlich „nur“ abnehmen oder „nur“ die Verbesserung einer unserer Fähigkeiten bestimmen nicht unser Leben. Wir haben Familie, Freunde, Jobs, Verpflichtungen und andere lebenswerte Inhalte.

Gefühlt: Das Ziel rückt weiter in die Ferne anstatt näher zu kommen.

Daher ist folgendes nur verständlich:

  • Die Intensität unserer Bemühungen lässt nach.
  • Wir verlieren unsere neuen Vorsätze, unsere Ziele, unsere Bemühungen wieder aus den Augen.
  • Oft erklären wir unsere neuen Vorhaben als gescheitert.
  • Wir kehren in unser „normales“ Leben zurück.

Ein bitterer Nachgeschmack bleibt immer. Wir beruhigen uns mit der Annahme, dass es nächstes Mal aber ganz bestimmt klappen wird. Wir werden einfach nur ein besseres System, eine bessere Diät finden müssen oder wir müssen das nächste Mal einfach konsequenter sein.

Und so finden wir uns wenige Wochen oder Monate später bei einem neuen Anlauf wieder. Meistens mit dem gleichen Endergebnis.

False-Hope-Syndrom

Prof. Janet Polivy und Prof. Peter Herman nennen diesen Kreislauf das False-Hope-Syndrom.

Sie fanden heraus, dass ihre Probanden (und somit wahrscheinlich sehr viele von uns auch) falsche oder übersteigerte Hoffnungen haben.

Unsere Erwartungen sind oft unrealistisch in Bezug:

  • auf die benötigten Schritte und Anstrengungen,
  • der wahrscheinlichen Geschwindigkeit zur Erreichung der Ziele,
  • der Schwierigkeiten und Hindernisse auf dem Weg dahin,
  • der benötigten Fähigkeiten und
  • die tatsächlichen Folgen von Selbstveränderungsversuchen.

Wir überschätzen manchmal unsere Fähigkeiten oder vertrauen auf vermeintlich leichte Lösungen. Meistens unterschätzen wir dabei den Aufwand und die benötigte Ausdauer, die für nachhaltige Veränderungen erforderlich sind.

„Manche wecken eine falsche Hoffnung und lassen die Richtige schlafen.“ – Manfred Hinrich

Auf Basis dieser Erkenntnisse heißt es für uns bei der Zielsetzung mit Reflexion, Achtsamkeit und einer guten Portion Realismus (nicht Pessimismus – das verwechseln wir unbewusst oft) heranzugehen.

In meinen 1:1 Coachings schauen wir uns daher konkret die positiven und aber eben auch die möglichen negativen Effekte von Veränderungen an.

Dazu werfen wir einen realistischen Blick auf:

  • die Zielsetzung,
  • die Planung vom Zeitrahmen,
  • den Aufwand und
  • die möglichen Hindernisse und Ergebnisse.

Wir schauen gemeinsam dabei immer auf die eigenen Ressourcen, die benötigten und bereits schon vorhandenen Fähigkeiten. Wir analysieren deinen Handlungsspielraum und schauen, wo können wir noch Erweiterungen schaffen.

Vor allem gestalten wir deinen persönlichen Weg zu deinem ganz persönlichen Erfolg!

Als eindringliche Aufforderung an dich und um den heutigen Artikel mit einem Zitat von Alfred Adler, dem Begründer der Individualpsychologie, zu beenden:

„Folge deinem Herzen. Aber vergiss dabei nicht, dein Hirn mitzunehmen.“

Photo by Aaron Burden on Unsplash

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